Hörbuch: Volker Braumann liest Walter Hasenclevers kongeniale Nachdichtung von Emanuel Swedenborgs Werk »Himmel und Hölle«. Mit einem Nachwort von Martin Lamm.


Volker Braumann hat ein Hörbuch mit dem Titel »Emanuel Swedenborg: Himmel, Hölle, Geisterwelt« produziert. Braumann studierte an den Universitäten Hamburg und Leipzig. In Leipzig schloss er 2009 den Studiengang Literarisches Schreiben ab. Als Hörbuchsprecher widmet er sich vor allem Texten aus Philosophie und Psychologie. Neben der ersten vollständigen Lesung des Gesamtwerkes von Platon gilt sein Interesse den Werken von Arthur Schopenhauer und Sigmund Freud. Das Sprechen eines Textes ist immer auch eine Interpretation desselben. Braumanns Interpretation ist ansprechend und wird dem Inhalt gerecht. Das Hörbuch ist ein Hörgenuss.
Innerhalb des urheberrechtsfreien Textbestandes trifft Braumann kluge Entscheidungen. Er liest die Nachdichtung »Himmel, Hölle, Geisterwelt« des Schriftstellers Walter Hasenclever (1890–1940), erschienen 1925 im Berliner Verlag Die Schmiede. Und zur »besseren Einordnung von Swedenborgs Visionen, Träumen und Gesichten« wählt er als Nachwort einen Text des schwedischen Literaturwissenschaftlers Martin Lamm (1880–1950) aus. Hierbei handelt es sich um das Kapitel »Der Geisterseher« aus dessen Buch »Swedenborg: Eine Studie über seine Entwicklung zum Mystiker und Geisterseher« (1922).
Damit wird Swedenborg natürlich wieder einmal als Geisterseher der Öffentlichkeit präsentiert, und es bestätigt sich die Regel: Wenn Swedenborg außerhalb des Swedenborg Verlages erscheint und ein breiteres Publikum – also nicht nur ein Fachpublikum – angesprochen werden soll, dann entscheidet man sich für Swedenborg den Jenseitskundigen. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind die Veröffentlichung von »Himmel und Hölle« im Marixverlag (2005), die Netflix-Produktion »Things Heard and Seen« (2021), das Sonderheft 3/2024 des Magazins Visionen mit dem Titel »Himmel & Hölle« und nun das Hörbuch von Volker Braumann.
Auffallend ist, dass Braumann sich nicht für das Nachwort von Walter Hasenclever entschieden hat, das in der Nachdichtung von 1925 enthalten war und somit die naheliegendste Option gewesen wäre. Dieses Nachwort hätte der Einordnung des bemerkenswerten Unternehmens von Walter Hasenclever in die Zeitumstände gedient.
Welche Absichten verband Hasenclever mit dem Projekt einer Nachdichtung? Das Nachwort gibt dazu folgende Hinweise: »Es galt also, Swedenborg zu entgeheimnissen …, eine zusammenhängende und zugleich zusammenfassende Auswahl zu treffen, und so das Werk einer alten, zeitgebundenen Ausdrucksform durch die lebendige Gegenwart zu erneuern. Ein Buch sollte entstehen, das für jeden verständlich, für jeden lesbar war; dazu schien es notwendig, eine Nachdichtung zu wagen, die mehr als eine Übersetzung und weniger als eine Dichtung war. Die ewig gleichen, stereotypen Wörter und Wendungen des theologischen Latein mußten durch das Instrument der Sprache von Fall zu Fall ihre besondere Bedeutung erhalten, bis sie schließlich, auf der Waage der Wahrheit gewogen, einer letzten Prüfung Stand hielten. Nur so, gewissermaßen durch einen sprachlichen Reinigungsprozeß, war es möglich, die Lehre Swedenborgs in ihren wesentlichen Bestandteilen zu kristallisieren und sie damit, zum erstenmal vom Staub der Jahrhunderte befreit, allen Menschen zugänglich zu machen.«1
»In den beiden Jahren, in denen ich mich fast ausschließlich mit Swedenborg beschäftigte, kam mir immer klarer zu Bewußtsein, daß die meisten Interpreten seiner Lehre, die in der Regel Theologen waren, von einem einseitigen, dogmatischen Standpunkt aus sich an das Äußere der Worte klammerten, während es gerade darauf ankam, ihre innere Bedeutung zu ahnen … So lag es nahe, die Forderung nach einem geistigen Sinn der biblischen Worte auf Swedenborg selber anzuwenden und seine Schriften gewissermaßen als Geheimsprache zu betrachten, die des Schlüssels bedarf. Dieser Schlüssel konnte nur gefunden werden, wenn von vornherein alle theologischen Interpolationen ausgeschaltet wurden … Aus diesem Grunde habe ich, um ein Beispiel zu nennen, das Wort ›Dominus‹ jedesmal mit ›Gott‹ übersetzt, ohne etwa auf die besondere Bedeutung dieses Wortes im theologischen Sinne Rücksicht zu nehmen.«2
Hasenclevers intensive Auseinandersetzung mit Swedenborg war für sein anschließendes literarisches Schaffen von wegweisender Bedeutung. Barbara Schommers-Kretschmer schrieb dazu in ihrer Dissertation: »Es wird sich zeigen, dass Hasenclever sowohl bereits in den Theaterstücken ab 1925 als auch besonders in den Romanen ein Allegoriekonzept entwickelt, welches auf der Lehre Emanuel Swedenborgs basiert.«3
Volker Braumann hat seinem Hörbuch einen sehr gut lesbaren Text Swedenborgs aus berufener Hand zugrunde gelegt. Möge der seinerzeitige Wunsch Hasenclevers, Swedenborg auf diese Weise allen – oder zumindest vielen – Menschen zugänglich zu machen, damit neuen Auftrieb erhalten.
- Martin Lamm. Swedenborg: Eine Studie über seine Entwicklung zum Mystiker und Geisterseher. Leipzig 1922.
- Barbara Schommers-Kretschmer. Philosophie und Poetologie im Werk von Walter Hasenclever. Aachen 2000
- Emanuel Swedenborg. Himmel, Hölle, Geisterwelt. Eine Auswahl aus dem lateinischen Text in deutscher Nachdichtung von Walter Hasenclever. Berlin 1925.